Urteile/Analysen

“Dramatische Erfülltheit, intensive Religiosität”.
Zeitgenössische Urteile und Analysen


“Prinzessin Brambilla” Op. 12

“Die Oper enthält so viel des schönen, eine solche Fülle von musikalischen Kostbarkeiten, daß man ohne weiteres dem Komponisten nachrühmen darf, mit seiner Brambilla uns eines der wertvollsten Opernwerke geschenkt zu haben, die in den letzten Jahren hier als Neuigkeiten gegeben wurden. Tiefempfundene lyrische Stellen stehen neben solchen, wo bald die Kunst des Kontrapunktikers,bald die des Harmonikers hervortritt. Die Orchesterfarben leuchten zwar nicht in jener blühenden Frische, die wir von koloristischen Meistern her gewohnt sind, doch deuten einzelne Farbenzusammenstellungen daraufhin, daß auch der Sinn für klangliche Wirkungen dem Komponisten keineswegs abgeht. Vorerst sind die Farben noch etwas stumpf. Eines ist zu sagen: Braunfels beteiligte sich mit seinem innersten Selbst bei dieser Arbeit. […]”
Alexander Eisenmann, Kritik zur Uraufführung Stuttgart 1909, (vgl. Kat. Nr. 37)

„zeitlose, unzeitgemäße Oper, Oper als Anlaß zur Musik, Oper als Spiel der Phantasie … : der Carneval Roms, die Figurinen der Commedia dell’arte, das indische Märchen, alle Motive verschlingen sich zu halb anmutigen, halb fratzenhaften Arabesken; die Zweideutigkeit von Phantasie und Wirklichkeit wird greifbar und entflieht dem Griff. [ … ] Prinzessin Brambilla wäre ein Anreiz für den größten Regisseur: Max Reinhardt; er würde das Werk auch pausenlos geben, als Phantas­magorie, als das absichtsloseste, heiterste, tänzerischste Werk, das es heute auf der Opernbühne gibt”
Alfred Einstein, Kritik zur Neufassung, Berli­ner Tageblatt 78.9.1937
(zitiert nach U. Jung S.83)

“Offenbarung Johannis” Op. 17
“Rechtzeitgemäß erschien endlich das letzte Stück des Konzertes_ Offenbarung Johannis, Kapitel VI für Tenorsolo, Doppelchor, großes Orchester” von Walter Braunfels (Op. 17). Der (1882) in Frankfurt a.M. geborene Schüler L. Thuilles weist sich in dieser Komposition als übermodern empfindender Musiker aus. Sein Orchester klingt faszinierend, sein Chorsatz imposant und wuchtig, seine thematische Erfindung und Arbeit erheischen volle Bewunde­rung. Die realistische Tonschilderung hält sich streng an den unschönen, verworrenen Text, [ … ] ist von großer Ausdruckskraft und stellenweise von berückender Schönheit. Kein Wunder, wenn sie der Festgemeinde gewaltig imponierte. Wie sollte auch die Verkündigung des jüngsten Gerichtes: [ … ] in so wuchtigen Tönen gepredigt, versagen, wo dies Thema in den Tagen der Furcht vor dem harmlos dahingleitenden Kometen Halleys alle Gemüter mehr oder weniger erregte? Zeitgemäß war die Darbietung dieses groß angelegten Werkes jedenfalls und daher ein charakteristischer Abschluß des ganzen Festes.”
A. Eccarius-Sieber, Kritik zum 46. Tonkünstlerfest, 3. Juni 1910 (vgl. Kat. Nr. 46)

“Serenade” Op. 20
“eine ganz entzückende Tonschöpfung, die dem Komponisten einen Erfolg brachte, der den seiner Apokalypse vielleicht noch übertraf. Keine größeren Gegensätze kann man sich denken, als die wild phantastischen Visionen jenes Chorwerks und die friedlich beglückte Idyllik der Serenade, deren leuchtende Klangfarben die Strahlen der Sommersonne unter italienischem Himmel zu reflektie­ren scheinen. Und doch: das eine steht Braunfels so gut zu Gesicht wie das andere, man ist hier wie dort in gleicher Weise von der Echtheit und Ursprünglichkeit seines Fühlens und Schauens überzeugt. In der Serenade haben mich die beiden mittleren Sätze beim ersten Hören am stärksten angesprochen: die eigenartige Grazie des scherzoartigen zweiten und der tiefe Empfindungsgehalt des langsamen dritten Satzes. In der Entwicklung des Komponisten bedeutet die Serenade wohl einen gewaltigen Schritt nach vorwärts, sowohl auf dem Wege zu immer größerer Selbständigkeit der Tonsprache wie auf dem zu meisterhafterer Beherrschung der technischen Mittel. Vor allem ist die Orchesterbehandlung in dem neuen Werke so glänzend wiewohl in keinem der vorangegangenen und auch sonst zeigt es sich, wie viel Braunfels, dessen ganz ungewöhnliche schöpferische Begabung für den Urteilsfähigen von vornherein feststeht, inzwischen noch gelernt hat.”
Rudolf Louis, Kritik zur Münchner Uraufführung, Münchener Neueste Nachrichten vom 12. Juni 1911 (vgl. Kat. Nr. 49)

“Ulenspiegel” Op. 23
“Die Musik zu Ulenspiegel ist ausgezeichnet. Jedesmal, wenn ich so nach einiger Zeit wieder hineinschaue bin ich frappiert über die Treffsicherheit, die Menge rhythmischer. Ideen, ganz abgesehen davon daß der Stil in seiner Reinheit aus dem was sonst heute gemacht wird, weit herausfällt. Um so anderer werden meine Empfindungen schon, wenn ich das Ganze hintereinander durchspiele. Ich empfinde da dann die Knappheit, die im Einzelnen ein Vorzug ist, für das Ganze als einen großen Nachteil. [ … ] Es fehlt eine Art innere Ruhe, die sich über alles breiten müßte, und dem Scharfen, Erregten erst seine letzte Wirkung gibt. Nicht als ob ruhige und zarte Wirkungen fehlten – gerade z. B. die Szene zwischen Klas u. Nele im 1. Akt, auch der Anfang des 2. Aktes sind besonders schön. Aber sie kommen, dem Ganzen gegenüber, doch weniger zur Entfaltung; und wenn man an ein Opernpublikum denkt, für das der einzelne musikalische Ausdruck sehr wenig Rolle spielt, um so mehr. [ … ] Sehr viel hängt mir freilich noch am Text. So gut der meistens in der einzelnen Wortgruppierung getroffen ist, so verfehlt scheint er mir als Ganzes; und hier liegt auch der Hauptgrund der ganzen Schwierigkeiten. Die Stimmung des Romans liegt wohl in der Musik, aber in dem was auf der Bühne vorgeht, höchstens für den, der den Roman kennt. Es ist alles viel zu sehr auf Handlung gestellt, die Grundstimmung, auf der sich doch Handlung auf­baut, steht wohl darin, kommt auf den Bühnen aber niemals heraus, weil sie keine Zeit dazu hat. Um vollends dem bürgerlichen Theaterpublikum fernliegende Empfindungen wie Heroismus, Stolz, Treue und Heldentum usw., muß man den ganzen Hintergrund mitgeben [ … ]. Ich könnte Dir im einzelnen genau sagen, was nicht wirkt. Bei alledem würde ich mich trauen, mit einer einigermaßen anständigen Aufführung der Oper einen Erfolg zu verschaffen [ … ]. Es fällt und steht sozusagen mit der Aufführung.”
Wilhelm Furtwängler, Brief an Bertele Braunfels vom 13.8. (1916?) (vgl. Kat. Nr. 58)

“Phantastische Erscheinungen eines Themas von Berlioz” Op. 25
Im 6. Konzert der Musikalischen Akademie brachte Bruno Walter ein neues Werk von Walter Braunfels zur Uraufführung: Phantastische Erscheinungen eines Themas von Berlioz, Op. 25. Ein Variationenwerk, dem als Thema Mephistos “Flohlied” aus “Fausts Verdammung” zugrunde liegt. Obwohl auch der geübte Hörer nach nur einmaligem Anhören eines Werkes von solcher Ausdehnung und technischen Kompliziertheit kaum mehr als die Summe seiner Eindrücke wiedergeben kann, halte ich mich – und zwar eben auf Grund dieses Gesamteindrucks – zu der immerhin etwas kühnen Behauptung berechtigt, daß seit der Sinfonia domestica von Richard Strauß und seit dem Erscheinen von Regers denkwürdigen Hiller-Variationen kein Orchesterwerk von ähnlich allseitiger Vollendung geschrieben wurde, das sich mit diesem neuen Opus von Braunfels auch nur annähernd messen könnte. Noch mehr; dieses Werk bedeutet schlechthin eine Erlösung für alle, die angesichts der immer wiederkehrenden Angriffe auf die Entwicklungsfähigkeit unserer Tonkunst auf traditioneller Normalbasis (siehe z. B. Busonis “Versuch einer neuen Ästhetik der Tonkunst”) allmählich dem Aberglauben zu unterliegen drohten, daß diese Kunst tatsächlich am Absterben sei. Sie ist es nicht; diese Wahrheit kann nicht durch den ästhetisierenden Analytiker, sondern nur durch die Tat eines vom göttlichen Fittich gestreiften schaffenden Genius bewiesen werden. Und ich stehe nicht an, Braunfels auf Grund der musikalischen und ästhetischen Inhaltswerte seiner neuen Schöpfung und ihrer vollendeten technischen Beschaffenheit zu den genialen Vertretern moderner Orchestermusik zu zählen. Sein Werk ist bei aller Kühnheit der Klangphantasie, die auch vor den herbsten dissonalen Reibungen und Tonspaltungen nicht zurückschreckt, klingende Schönheit. Es ist spezifisch deutsch, weil es den Inhalt über den Effekt stellt, deutsch, trotzdem nicht zu leugnen ist, daß der Geist Hektor Berlioz'[ … ) dem Komponisten gelegentlich mit überlegenem Lächeln über die Schulter in die Partiturgeblickt hat. Das beweist natürlich nichts gegen Braunfels originelle Eigenart; im Gegenteil, die phantasievolle Art seiner Themenverwertung, seine virtuose Behandlung des mächtigen Orchesterapparates und das künstlerische Gesamtethos beweisen, daß sein Streben dem des geistigen Urhebers des Originalthemas durchaus kongenial ist. In Bezug auf die, gleichzeitig auftretenden heterogenen Affekten abgelauschte Polyrhythmik, die trotz ihrer Vielgliedrigkeit ein bewun­dernswert klares klangliches Gesamtbild hinterläßt, gelang Braunfels die vollendete Lösung eines in Bezug auf seine Verwendung in der Oper auch von mir vielangefochtenen Problems ‘ das nur auf dem Wege einer, sagen wir raffinierten ökonomischen Disposition der Ausdrucksmittel und Klangerscheinungen zu lösen war. So stellt dieses neue Opus auch ein technisches Meisterstück dar. Das in sechs Abschnitte zu fünfzehn “Erscheinungen” gegliederte, in ein Orchesterkolorit von wahrhaft bezaubernder Schönheit und Vielfarbigkeit gekleidete Werk, in dem das Originalthema weniger im hergebrachten Sinne der „Variation“ denn teils als fragmentari­sches Zitat, teils in geistvollen aphoristischen Wendungen auftritt, durchläuft so ziemlich die ganze Skala menschlicher Empfindungen von grotesk phantastischem Humor der Walpur­gisnacht (vierte “Erscheinung”) bis zu leidenschaftlicher Innigkeit, von mephistofelischem Humor (sieben bis neun) bis zu intensivster Weihestimmung (vierzehn). Ein Finale,[ … ] sichert dem Werk in einer großartig angelegten organischen Steigerung einen triumphalen Ausklang.”
Albert Noelte, Kritik zur Aufführung in München (Münchner Neueste Nachrichten?)
(vgl. Kot. Nr. 67)

“Die Vögel” Op. 30
“Ich glaube nicht, daß über die deutsche Opernbühne je ein so absolutes Künstlerwerk gegangen ist wie dieses “lyrisch-phantastische Spiel noch Aristophanes” [ … ] Man erkennt sehr deutlich die Linie in der Opernbewegung, in die es gehört, – Es ist eines der Dokumente des Antinaturalismus in der Oper, der die Komponisten im letzten Jahrzehnt im wachsenden Maße ergriffen hat, und zu dessen Marksteinen die unwirkliche Stilbalance der “Ariadne”, die Märchenwelt der “Frau ohne Schatten”, vielleicht auch die besten Elemente der Opern Schrekers zählen. Nur daß es scheinbar subjektiver und doch in seinem besonderen und tiefen Sinn notwendiger ist als alle diese Opern. Man kann und muß es als Künstlerwerk – nicht etwa als Künstlerdrama – mit den “Meistersingern” und dem “Palestrina” Pfitzners vergleichen: die “Meistersinger”, [ … ] die Verklärung einer Welt, auf die wir wie ein verlorenes Paradies zurück­schauen; der “Palestrina” ein Zeugnis des romantischen Pessimismus, egozentrisch, eng, abschiednehmend, müde: “Die Vögel” aber ein Werk der Sehnsucht nach dem reinen Reich der Phantasie, der Kunst, der Poesie, und zu­gleich eine Erfüllung dieser Sehnsucht, ein Sprung ins vollkommen Zeitlose und Tendenzlose [ … ] Man merkt, das ist kein Text und keine Handlung, die “vertont” werden, zu denen man Musik machen kann, sondern der Text ist die Seele der Musik; szenisches Bild, Worte, Musik sind ein untrennbares Ganzes [ … ].Wie voll schlägt gleich das Vorspiel den bezauberndsten, den romantischen Akkord dieses Werkes an, der bei jedem Laut der Nachtigall erklingt und der in der ersten Hälfte des zweiten Aktes zu einer sinnlichen und spirituellen Liebesszene anschwillt, die seit dem zweiten Akt des Tristan schwerlich ihresgleichen hat! Die Parallele geht noch weiter: der Höhepunkt der Szene, der Gesang der Blumendüfte, steigert sich nicht eigentlich ‘ins Berauschende, sondern geht ins geheimnisvolle und Stille, Mystische über – einer der vielen außerordentlichen Züge des Werkes. [ … ] Von weicher Einfachheit und Natürlichkeit ist die ganze Motivik und Harmonik – wir haben eine wahrhaftige Haupttonart, D-Dur, und wie mannigfaltig,

reich, neu ist das alles! Wie wirkt das Raffinierteste in der Instrumentation im Orchester und namentlich auch im Chor, weil eben die ganze Skala vom Einfachsten an ablesbar ist!”
Alfred Einstein: “Die Vögel” von Walter Braunfels, Kritik zur Uraufführung, Münchener Kunstschau (vgl. Kat. Nr. 86)

“Te Deum” Op. 32
“ein etwa einstündiges Te Deum des Müncheners Walter Braunfels für Sopran- und Tenor Solo, Chor, Orchester und Orgel hat[ … ] durch seine unerhörte Gewalt und Größe jeden Widerspruch bezwungen und sich, dem Autor und allen Mitwirkenden nach tiefer Erschütterung der Zuhörer jubelnde Zustimmung eingetragen. Diese große Wirkung ist zu innerst verankert in der Gläubigkeit und Hingabe des Künstlers an sein religiöses Ideal, ist sein Bekenntnis.”
Gerhard Tischer, Kritik zur Uraufführung, Rheinische Musik- und Theaterzeitung, März 1922 (vgl. Werbeblatt UE, Kat. Nr. 103)

“endlich ein Ereignis: es dirigierte Walter Braunfels ( … ) sein Opus 32, [ … ] in einem überwältigenden Alfrescostil [ … ]. Daß mit dem Werke die Te Deum-Literatur um eine dauerhafte Schöpfung bereichert ist, scheint gewiß. Der Wert dieser hochmodernen, stilistisch zwischen den Melismen und Rhythmen der Palestrina-Schule, Brucknerscher Themenplastik, Lisztscher Ausdruckskunst, protestantischem Oratoriengeist (besonders Bachscher Stimmführung im 4. Teil) vermittelnden Komposition liegt zwar schon vermöge der unasketischen Fülle des Klanges, der Üppigkeit des Melos und gelegentlicher tritonusartiger Wildheiten durchaus in einer romantischen, mehr allgemein künstlerischen Richtung: […]. Musikalisch hat Braunfels den Text wie folgt gegliedert. 1. Teil Te Deum laudamus, ein prachtvoll unison gesungenes Thema, von unruhiger Chromatik untermalt, das im Verlaufe eine Rolle spielt und beim letzten Schlußfall in die Haupttonart (C-Dur) wiederkehrt; über dem Orgelpunkt G wird das Hauptthema noch einmal fugenartig in einer Weise durchgeführt, die an imposanter Größe an die Meisterwerke des 18. Jahrhunderts erinnert; insbesondere sind die dabei auftretenden Melismen (rollende Skalenbewegungen in Akkordrückung) eine geniale Idee und Reminiszenz. Der 2. Teil „judex crederis venturus“ -er enthält ein unheimliches instrumentales Zwischenstück mit Orgel – ist in seiner rhythmischen Prägnanz und sogar grellen Ausdrucksschärfe ein hervorragender Kontrast zum 3. Aeterna, der mit Lohengrinhaften A-Dur-Klängen, Violoncellthema und danach Frauenstimmen anhebt und in voll blühendem Melos dahinzieht. Im 4. Teil (B-Moll) feiert wieder der Kontrapunktiker und Fugenkomponist bewunderungswürdige Triumphe.[…]”
Alexander Berrsche, Kritik zur Aufführung im 9. Abonnementskonzert der Musikalischen Akademie, München 1924, Münchener Zeitung (vgl. Kat. Nr. 109)

“Don Gil von den grünen Hosen” Op. 35
…“die Liebe zur Mischung von romantisch-phantastischem Märchentum und dem Spuk des Alltags, wie sie in E.T.A. Hoffmann sich verkörpert, hat nicht bloß Offenbach, sondern auch so viele nachwagnerische Komponisten, von dem rechtgläubigen Siegmund von Hausegger bis zu dem gar nicht rechtgläubigen Ferruccio Busoni ergriffen, und Braunfels steht zwischen beiden etwa in der Mitte. [ … ] Der „Don Gil“ ist nicht mehr Romantik. Auch Braunfels will diesmal in seiner „Musikalischen Komödie“ nichts weiter als das heitere Spiel mit allen Vorder- und ohne alle Hintergründe, [ … ] Was Braunfels in den Stoff hinein­zutragen gesucht hat, ist das deutsche Gemüt. Der alte spanische Dichter ist gemütlos. Ihm genügt völlig die mutwillige Intrige, die geschickte Verschlingung der Handhabung, wobei Geschick mit Wahrscheinlichkeit durchaus nicht identisch ist. Braunfels hat Juana, die in ihrem Übermut, ihrer Heiterkeit, Zielbewußtheit das Gegenteil der Donna Elvira ist, ‚gehoben’; schon im Vorspiel wird ihr ganzer Charakter zum Klang – hier ist der Don Gil von den grünen Hosen, mit dessen kecker musikalischer Devise das Stück beginnt, mit seinen Verkleidungen und Masken, dort das

Leo Pasetth Bühnenbild – Entwurf zu Don Gil von den grünen Hosen” (Gouache)

liebende Weib, das hinter der Maske steckt: alle Geister der Liebe, der Lustigkeit, des Witzes wirbeln schon in dieser Ouvertüre durcheinander. [ … ] Aber daß Braunfels den warmen, vollen lyrischen Ton besitzt, das wissen wir. Das Neue, Erfreuende, Überraschende liegt in der Art, wie er den heiteren Ton der Komödie getroffen hat. [ … ] Die Sprache dieser “musikalischen Komödie” ist ganz eigentümlich stark gebunden; auch in ihren rapiden, heiteren, grotesken Teilen. Bis auf wenige Stellen, wo sich Braunfels nur des fast begleitungslosen Parlandos oder des nackten Sprechtons bedient; ist das alles melodisch ganz bestimmt gefaßt; und das Melodische ergibt sich sehr gern aus der sehr reichen und vielfach wechselnden sprachlichen Fassung, die zu allen möglichen rhythmischen und me­trischen Steigerungen führt. Zur Steigerung der komischen Wirkung werden aus solchen Feinheiten leicht leisere oder derbere Übertreibungen – jede Rolle ist an solchen Dingen reich. [ … ] Und daß diese Gebundenheit der musikalischen Sprache, die Zusammenfassung zu Ariosi, Arien, Szenen von der Stimme ausgeht, nicht vom symphonisch gestalteten Orchester, nimmt ihr die Gefahr, die sie sonst wohl für das musikalische Lustspiel mit sich geführt hätte: die Gefahr der Breite und Unverständlichkeit: ein natürliches Gleichgewicht zwischen Stimme und Orchester ist vielfach erreicht, ein neuer Typ der Lustspiel-Kantabilität geschaffen. Die Wiedergabe des Werkes im Münchner Nationaltheater [ … ] enthüllte die innere Zwiespältigkeit des Werkes: den Zwiespalt zwischen dem Musiker und dem Dramatiker Braunfels: sein Musikertum ist das Stärkere, das Primäre, aus ihm erst ergibt sich das Darstellerische, Szenische, die Fügung des Ganzen.”
Alfred Einstein, Kritik zur Uraufführung, Musikblätter des Anbruch, Wien, 1924
(vgl. Kat. Nr. 124)

„Melodie blüht auf und durchzieht mit einer feinen Thematik die ganze Oper, als wäre sie eine Symphonie. [ … ] Wie das Spiel immer tiefer in den Abend hinein fortschreitet, wird die Maskerade zum Gleichnis, und es ist, als wäre in der Luft der skeptischen modernen Bühne noch einmal die blaue Blume der Romantik aufgeblüht.”
E. Bienenfeld, Kritik zur Wiener Erstaufführung, Neues Wiener Journal v. 8.5.1925
(zitiert nach U. Jung S. 269)

„Galathea” Op. 40 UA Köln 1931
Die Fabel ist nur Anlaß zu Musik: antikischer Sommernachtstraum, Rausch, Trieb, Liebe in allen Formen und Gestalten. Die ersten Takte schon: Anklang an die tiefen Terzen des Siegfried-Vorspiels, aber nicht nordischer Urwald, sondern südliche Landschaft, Landschaft Poussins; rauhe Jagdhörner, die Doppelflöte des Acis, das Stöhnen des Zyklopen; der Ziergesang Galatheas und der drei Nymphen, die aus Richard Strauss’ Ariadne herkommen, nur reinerer, unschuldsvollerer Klang sind; die Orgie eines bacchantischen Festes, Chorstimmen im Orchester, Fernchöre; eine Überfülle von Klang, der in bezaubernd geführten, flatternden oder gehauchten Holzbläsern am meisten berückt; eine reiche und alterierte Sextakkord-Harmonik, nicht ohne Einfluß des Liebesgarten-Pfitzner, der auch in ein paar liedhaften Kargheiten spürbar ist. Am berückendsten die melodische Blüte, über abstei­gender Quart, die Polyphems Sehnsucht enthüllt, diese Liebeswunde, von der ein Licht ausstrahlt, diese Ahnung der Schönheit… Hier ist wirkliche Musik; Musik ist das ganze Werk, unzeitgemäß, aber an solchen Stellen beinahe zeitlos.”
Alfred Einstein, Kritik zur Erstaufführung in Berliner Tageblatt vom 26.2.1931, Kat. Nr. 142)

Egon Wilden, Figurinen und Bühnenbild‑Entwürfe für die Uraufführung von Galathea “.
Oben: Zwei Kentauren und ein Faun. Rechts: ” Im Innern der Höhle” (oben) und ” Höhle am Meer”

“Der Zauberlehrling”: Bühnenbild-Entwurf (“Das Schloß”) von Hein Heckroth für die Fernseh-produktion des NWDR (1954),
die zugleich auch in Technicolor als Kinofi Im aufgenommen wurde

Bruno Walter, Thema und Variationen.
Erinnerungen und Gedanken. Frankfurt 1988 (New York 1947) S. 306
„Im Jahre 1920 brachte ich eine der interessantesten Novitaten meiner Münchener Amtsperiode, Walter Braunfels’ „Die Vögel“ heraus, und wer Karl Erbs Gesang von der Sehnsucht des Menschen und die tröstende Stimme der Nachtigall aus der Baumkrone über ihm von der Ivoguen gehört, wen die grotesken Szenen des Werkes erheitert und die romantischen gerührt haben, wird dieser poesie- und geistvollen Umwandlung der Komödie des Aristophanes zur Oper und ihrer Münchener Aufführung dankbar gedenken. Der Autor war der Sohn des deutschen Übersetzers spanischer

Hein Heckroth, Bühnenbild-Entwurf für den “Zauberlehrling” (1954): der “Zauberwald”

Dramen Ludwig Braunfels und Schwiegersohn des Bildhauers Adolf Hildebrand. Er folgte im künstlerischen Schaffen zwei Grundtrieben seines Wesens, einer dramatischen Erfülltheit und einer intensiven Religiosität, die beide ihren musikalisch interessanten, ja gelegentlich bedeutenden Ausdruck in seinen Werken fanden. Ich selbst habe außer den „Vögeln“ in der Münchener Oper sein sehr schönes, inniges „Te Deum“ mit dem Münchener Lehrergesangverein im Odeon und später noch einmal mit dem Wiener Philharmonischen Chor im dortigen Konzerthaus, ferner seine geistreichen Orchestervariationen über ein Thema von Berlioz in Berlin, Leipzig und New York aufgeführt.

Braunfels, Direktor der Kölner Hochschule für Musik, war ein vortrefflicher Pianist und zugleich gründlicher Kenner der Kirchenmusik. 1933 zwangen ihn die Nazis, von seiner Kölner Stellung zurückzutreten, und er zog sich mit seiner Familie in ein kleines Dorf am Bodensee zurück. Dort benützte er die ihm vom Schicksal auferlegte Muße, um eine Oper nach Grillparzers “Der Traum ein Leben” zu schreiben, die ich noch als Leiter der Wiener Oper annehmen, aber nicht mehr zur Aufführung bringen konnte. [ … ] Er versenkte sich mehr und mehr in die katholische Gedanken und Gefühlssphäre und spielte mir noch zuletzt Teile einer Oper nach einem Mysterienspiel des Dichters Paul Claudel vor.”